Leonie Hartung
Ins Blaue – Netzwerktreffen in der Mero-Halle im Spreepark
Austausch, Diskussion und ein geselliger Spaziergang am Sonntagmorgen: Die Rauminstallation Blaue Stunde des Künstler- und Architekturkollektivs modulorbeat von Jan Kampshoff und Marc Grünnewig im Spreepark wird an diesem noch milden Sonntagvormittag im Juli zum Begegnungsort unter freiem Himmel, um beim morgendlichen Kaffee die Gedanken schweifen zu lassen und gemeinsam über den Wandel und die Zukunft des Spreeparks zu spekulieren.
Moderiert wird das ergebnisoffene Netzwerktreffen von Katja Aßmann, künstlerische Leiterin des Spreepark Art Space und Jan Kampshoff von modulorbeat. Sie beide erzählen von der Installation Blaue Stunde und dem transformierten Spreepark mit seinen ineinander verwobenen Geschichten und Überlagerungen.
Für den Vormittag sind zwei Spaziergänge durch den Spreepark geplant. Davor, dazwischen und danach ist, ganz im Sinne des Parks, Raum für Spontanes gelassen. Die eingeladenen Gäste sind neugierig – viele sind zum ersten Mal hier, einige kennen sich untereinander nicht. Beim ersten Kaffee kommen sie schnell ins Gespräch, während die Sonne durch das blaue Tragwerk filigrane Schatten auf die noch original erhaltenen Bodenfliesen des ehemaligen Spezialitätenrestaurants wirft.
Da auf dem Grundstück des Spreeparks noch kein Baurecht vorhanden ist, liefen alle Maßnahmen zur Instandsetzung des Mero-Fachwerks lediglich unter dem Stichwort „Sicherungsmaßnahme“, wie beispielsweise der enzianblaue Anstrich, der die Stahlrohre gegen Korrosion schützt. Die in der Sonne ebenfalls blau leuchtenden, neu installierten Vorhänge werden vom Wind sanft in ihren Schienen hin- und hergeschoben. Es handelt sich um einen Stoff aus dem landwirtschaftlichen Bereich, der dem Ort eine provisorische Atmosphäre gibt. Im dichten Gewebe haben sich Nachtfalter Unterschlupf gesucht und Töpferwespen legen inzwischen ihre Eier ab – dies ist nur eines der zahlreichen Beispiele für die enge Verstrickung zwischen humanen und nicht-humanen Akteuren im Park.
Der ehemalige Boden des Restaurants wurde genauso belassen, wie er vom Architekturkollektiv vorgefunden wurde, erzählt Jan Kampshoff. „Hier sind die Toiletten, die man noch im Grundriss sieht, da vorn ist die Küche, die erhöhten Bereiche sind die Orte, wo eben die Küchengeräte für die Großküche standen, und nach dem Freilegen der Dächer und Fassadenfragmente war für uns relativ klar, dass wir genau diese Spuren nutzen wollen“.
An denjenigen Stellen, an denen der Boden offen war, wachsen und blühen nun diverse Pionierpflanzen des Spreeparks und Gehölze, die als Baumlabor einen Einblick in den zukünftigen Pflanzplan des Spreeparks geben sollen – klimaresilient und vereinbar mit den heimischen Pflanzen. Durch die Fugen der Fliesen sprießt verschiedenes „Unkraut“ aus dem Boden, das auf Anweisung des Künstlers zunächst ungestört weiterwachsen soll. Kultiviert und wild nebeneinander, das ist auch im Rest des Spreeparks Programm, in dem 12 Hektar von insgesamt 23 Hektar biotop-kartiert sind; das heißt, von der Spezies Mensch in Ruhe gelassen werden. Die länglichen Pflanzenbeete fungieren zusammen mit den Vorhängen als flexible raumteilende Elemente, erklärt Kampshoff, die zusammen mit den ebenfalls blauen Bänken für unterschiedliche Veranstaltungen innerhalb der Installation genutzt werden können.
„Wir haben immer gesagt, das ist eigentlich keine Architektur mehr, sondern das ist ein Park, der in einem Architekturfragment stattfindet. Und sich genauso verhält – es gibt kein Zentrum, es ist offen, man kann mit wenigen Personen auf der Bank sitzen und fühlt sich wohl; es kann aber auch ganz dicht werden. Und im Sinne der künstlerischen Forschung ist das tatsächlich ein Ausprobieren, ein Ausloten, was dieser Raum dauerhaft sein kann. Mit dem Luxus, dass es erstmal keinen funktionalen Zwang gibt, den man unterbringen muss, sondern dass man sich ganz auf den Ort einlassen kann.“
Jan Kampshoff
Bevor man gemeinsam zum ersten Spaziergang aufbricht, drehen sich die Gespräche zunächst um die Transformation des alten Raumfachwerks. Jan Kampshoff spricht dabei über die besondere „Archäologie des Ortes“, den experimentellen Umgang mit dem baulichen Fragment sowie über die Kunst, das Unklare in der Planung ertragen zu können. So entstand ein Ort, der auch auf anderen Menschen stimulierend wirkt.
Saskia Hebert und Matthias Lohmann vom Architektur- und Stadtforschungsbüro subsolar* berichten in diesem Zusammenhang von der Trilogie THE PRESENT RETTET DIE WELT der Neuköllner Oper, deren letzter Teil Fountain of Joy wenige Wochen zuvor abends in der Blauen Stunde stattfand. Das Vokalensemble hatte eine Woche zuvor am Ort geprobt, um aktiv mit der Offenheit des Raums und seiner Bepflanzung zu arbeiten. Während der Performance wurden die Zuhörer*innen gebeten, sich mit den letzten Sonnenstrahlen auf den noch warmen Boden zu legen, und durch das blaue Gestänge den Blick in den Himmel schweifen zu lassen, begleitet vom Singen der Nachtigallen in der Dämmerung.
Neben ihrer Bürotätigkeit lehrte Saskia Hebert fünf Jahre lang Transformationsdesign an der HBK in Braunschweig und hält Vorträge über nachhaltige Stadtentwicklung; über die Frage, was eine zukunftsfähige Gesellschaft ausmacht und welche Rolle Gestaltung, Kunst und Kultur dabei spielen. Im Gespräch ging es unter anderem darum, wie Menschen eigentlich lernen – räumliche Erfahrungsorte würden dabei eine besondere Rolle spielen, um nachhaltige Selbstermächtigung und einen „positiven Vorgriff auf eine selbstveränderte Zukunft“ zu fördern.
„Was braucht es, dass ein Ort Bewunderung auslöst, vielleicht auch Begeisterung oder erst mal Befremdung? Was braucht es für das Verständnis, dass so ein Ort von allein funktioniert?“
Saskia Habert
An dieser Stelle kommt die Architektur wieder ins Spiel: die lange Suche nach dem kleinsten Eingriff, um die größtmögliche Wirkung zu erzielen, scheint dabei ausschlaggebend um eine bewusste Setzung vorzunehmen. Eine einzige Farbe kann einen gesamten Ort als bewusst gestaltet umdeuten und zusammenhalten.
Nach diesem ersten gedanklichen Austausch beginnt die Führung durch den Park. Unter Leitung von Katja Aßmann geht der Spaziergang zuerst am Riesenrad vorbei. Dessen Rückbau wurde bereits im Februar 2021 durchgeführt, aus Rücksicht auf die Brutzeit der Turmfalken. Jeder Planungsschritt im Spreepark wird zunächst mit der ökologischen Baubegleitung abgesprochen. Das Riesenrad wird als einziges Fahrgeschäft vom Ingenieurbüro Schlaich Bergermann Partner zusammen mit realities:united über dem neuen Wasserbecken, das zukünftig als Regenwasserrückhaltebecken dienen wird,wiederaufgebaut.
Der Spaziergang geht weiter. Vorbei an den biotop-kartierten Bereichen, vorbei am Spreeblitz, vorbei am Monte Carlo Drive. Bei einer größeren Pappelgruppe am Wegrand wird eine kurze Pause eingelegt. Dort erzählt der Künstler Christian Orendt vom Kunstwerk TOWARDS HUMANITY!, das das Künstlerduo Böhler & Orendt hier als eines der fünf dauerhaften Arbeiten noch installieren wird. Den Pappeln werden humanisierte Masken aufgesetzt.
Sobald Menschen in die Nähe kommen, fangen sie an ihre Umwelt zu kommentieren. „Man hört sie sprechen und sieht, dass sich die Gesichter bewegen. Da stehen sieben Bäume und unterhalten sich über die Menschen, die vor ihnen stehen.“Neben den unterschiedlichen humanen Akteuren des Parks bilden die Bäume und die Pflanzen eine der größten, jedoch stummen Interessengruppen des Parks, so Orendt. Neidische Bäume, die Menschen für scheinbare Banalitäten bewundern, werden zukünftig fester Bestandteil des Parks. Als ironischer und kritischer Kommentar werden sie immer wieder darauf aufmerksam machen, dass es keine Rechtfertigung gibt, nicht-humane Interessengruppen mit ihren Bedürfnissen einfach zu übergehen.
Katja Aßmann führt die Gruppe weiter, vorbei an der Schwanenbahn, in deren Gewässer die seltene steifborstige Armleuchteralge wächst, eine Rote-Liste-Art, die im Park geschützt wird. Sie erzählt von der zukünftigen Planung einer Dachterrasse und Umgestaltung des Pavillons durch die Künstlerin Sol Calero.
„Ich glaube, die eigentliche Qualität des Ortes sind die verschiedenen Schichten; die Geschichten, die man hier vorfindet, die sich über die Zeit miteinander verwoben haben. Der Leitgedanke für den zukünftigen Spreepark ist, möglichst viel von dem zu erhalten, was als materielle und immaterielle Ressource bereits vorhanden ist. Dabei sollen an vielen Stellen möglichst auch Künstler und Künstlerinnen eingebunden werden, um die Interdisziplinarität zu fördern. Es braucht einen Ort der Kommunikation.“
Katja Aßmann
Zuletzt führt der Spaziergang vorbei am Wasserbecken, dem alten und zukünftigen Ort des Riesenrads, zum Englischen Dorf mit seiner weit zurückreichenden Performance-Geschichte. Hier entsteht, geplant von Winkelmüller Architekten, ein neuer Veranstaltungsort, der die Form des einstigen Zirkuszeltes innerhalb des Englischen Dorfes wieder aufgreift. Langsam geht es wieder in Richtung Blaue Stunde, wo sich ein paar neu eingetroffene Netzwerker*innen unter die Gruppe mischen. Einige Leute bleiben stehen und holen sich noch einen Kaffee, andere verteilen sich auf den Bänken unter der blau strahlenden Struktur, dessen Instandsetzung zunächst nur temporär geplant war – nun entstehen erste Ideen, wie der Ort vom Temporären ins Dauerhafte überführt werden kann, ohne seine Qualität zu verlieren.
Wie geht es also weiter mit der Mero-Halle und dem Spreepark? „Ich würde mir wünschen – weil ich die Gegend hier als Naherholungsgebiet kenne und weiß, dass hier unter anderem auch viele Kinder herkommen – dass dieser Ort als wirklich öffentlich zugänglicher Raum erhalten bleibt“, meint Ute Frank vom Architekturbüro augustinundfrank/winkler. Sie umrundet den Park seit ungefähr zwanzig Jahren immer wieder von außen mit dem Fahrrad und bekam sämtliche Metamorphosen nur von außen über den Zaun mit.
„Berlin ist in dieser Hinsicht aus der Gartenbaugeschichte sehr gesegnet. Da gibt es die Beispiele von den großen Städtebauern wie Peter Joseph Lenné, der den Landwehrkanal angelegt hat. Das war ein städtebauliches Projekt, wo sich auch funktionale Aspekte mit der Idee der grünen Stadt, der Stadtlandschaft versöhnt haben. In diesem Sinne muss man immer gucken, dass man genau diese Idee weiterverfolgt.“
Ute Frank
Es bleibt also eine stete Verhandlung zwischen den diversen Interessengruppen und Zeitschichten des Parks. Zwischen öffentlich zugänglich und biotop-kartiert, zwischen der „Archäologie des Ortes“ und seiner Instandsetzung – zwischen Armleuchteralge, sprechenden Bäumen und einem gemeinsamen Ausblick auf eine selbstveränderte Zukunft. Genau dazwischen findet die Umdeutung und der Wandel des Spreeparks statt, als Park im Park und als Herausforderung, die gewohnte Perspektive zu wechseln und die Potenziale des Bestehenden herauszuarbeiten.