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Marcus Maeder, Der Klang der urbanen Wildnis

Über Klangteppiche, Spaziergänger*innen, den Sound von Regenwürmern und widersprüchliche Landschaften.

So klingt die urbane Wildnis des Spreeparks

Der Künstler Marcus Maeder ist nicht ausschließlich Künstler, sondern auch akustischer Ökologe. In seiner Arbeit verbindet er die Kunst mit der Wissenschaft und andersherum. Es ist die akustische Untersuchung und Beobachtung von Biodiversität, die im Mittelpunkt seiner beiden Forschungsfelder steht. Dass so neue Lösungen und Perspektiven für die Herausforderungen, die ein Projekt wie der Spreepark mit sich bringt, gefunden werden können, zeigt er als Forschungsresident im Spreepark.

Mensch und Tier zusammen

Für seine Recherche hat er vier Rekorder und Kameras an Standorten im Park mit unterschiedlichen (Sound)Qualitäten verteilt: ein Ort, der von vielen Menschen frequentiert wird, einer, an dem der Regen besonders schön klingt oder einer, an dem die Vögel die Regie übernommen haben. Maeder beobachtet den Park wie ein Wildtierbiologe, wozu dann alle Bewohner*innen zählen: Menschen und Tiere gleichermaßen. Durch die Umgebung, die sich durch die “eingezäunte urbane Wildnis” des Spreeparks ergibt, sind eine ganze Reihe neuer Formen des Zusammenlebens, also der Cohabitation, entstanden. Passend dazu gab es die gleichnamige Ausstellung des Architekturmagazins Arch+, die u.a. im Spreepark unterschiedliche Formen des Zusammenlebens von Mensch und Tier untersucht hat. Der Spreepark diente dabei als Forschungslabor. Denn gerade in Zukunft wird man sich die Fragen nach dem Zusammenkommen von Natur und urbanem Raum neu stellen müssen.

Ein komplexer Klangteppich

Die vier Rekorder von Maeder waren teilweise weit voneinander entfernt platziert. In dem entstandenen Soundscape, der Klanglandschaft, werden so auch Orte zusammen hörbar, die sonst akustisch voneinander getrennt sind. Würde man einfach in der Landschaft stehen, wären die Geräusche, die Maeder da zusammenbringt, nie gemeinsam zu hören. Durch die Aufnahmen verdichtet sich das Gelände. “Neben einer räumlichen gibt es also auch eine temporale Kompression”, erzählt er. Das heißt, die Rekorder nehmen in Intervallen auf. Jede Stunde fünf Minuten, an vier Standorten. Das ergibt einen komplexen Klangteppich, über den die Besuchenden erfahren können, welche verschiedenen Spezies den Park bevölkern, zu welchen Uhrzeiten sie besonders aktiv sind und auch wer am lautesten ist.

Zwischen Stadt und Land

Für Maeder ist dabei die Widersprüchlichkeit zwischen Wildnis und Urbanität das eigentlich Spannende. Einerseits taucht jede Nacht ein Fuchs auf, andererseits mischt sich in den Sound der Blätter auch mal ein Hubschrauber und über allem liegt der konstante Lärm der Großstadt. Besonders gern mag er die Lastkähne, die immer wieder am Spreeufer anlegen und Sand oder Zement abladen: “Die schleifen dann den Kai entlang, das ergibt ganz langgezogene Töne. Das schallt natürlich auch in den Spreepark hinein. Das ist toll”, erzählt er. Seine Motivation erklärt Maeder so: “Mich interessieren widersprüchliche Landschaften viel mehr als ein Naturidyll abzubilden, weil man hier neue interessante Interaktionen hören kann. Zum Beispiel die Tatsache, dass einige Vogelarten ihren Gesang an die städtischen Polizeisirenen angepasst haben”.

Spaziergänger*innen und Waschbären

Auch beim ehemaligen Fahrgeschäft “Spreeblitz” hatte Maeder Rekorder und Kamera installiert. Dort konnten gleich eine ganze Reihe unterschiedlicher Spezies aufgenommen werden, weil dieser Bereich stark frequentiert ist. Das reicht von Spaziergängern*innen, Kunststudierenden und Hip-Hop-Begeisterten zum regelmäßig vorbeikommenden Waschbären bis hin zu einem Fuchs, der neugierig in die Kamera schaut.

Maeder versucht die Orte so auszuwählen, dass sie alle Aspekte der Landschaft charakterisieren: “Ganz im Zentrum war ein Rekorder auf der kleinen Insel, in dem stillgelegten See beim ehemaligen Riesenrad. Ein Ort, der von Menschen kaum besucht wird, weil Besucher*innen da nicht so einfach hinkommen. Dort gibt es dafür aber sehr viele Vögel, die auf den Ästen sitzen und mit dem Rekorder, der dort angebracht war, spielten”. So ergaben sich, trotz des relativ kleinen Geländes, ganz unterschiedliche Geräuschfelder. Ein weiterer Rekorder war am Bootshaus der ehemaligen Wildwasserbahn installiert. Der Ort war für Maeder besonders spannend, weil der Rekorder durch eine Überdachung gegen Wind und Regen geschützt ist, gleichzeitig ist es aber dennoch ein rund herum offenes Gebäude. So ist gut hörbar, was draußen passiert, ohne dass Regen auf die Mikrofone schlägt.

Von oben nach unten

Ein Sound, der immer da ist, ist der Verkehr. Der ist omnipräsent im Park. Neben den überirdischen Messungen hat Maeder auch unterirdisch gearbeitet. Bei üblichen Geräuschmessungen zur Biodiversität bleibt man an der Oberfläche. Man schaut wie viele verschiedene Geräusche es gibt und schließt davon auf die Diversität der Tiere. Diese Methode hat Maeder nun auch unter die Erde gebracht. Ein Regenwurm schiebt sich beispielsweise unter der Erde mit borstigen Widerhaken versehen emsig nach vorn. Akustisch verstärkt, schwillt dieses Geräusch wellenförmig zu ohrenbetäubendem Lärm an. “Wenn man dieses Geräusch in voller Lautstärke hört”, sagt Maeder, “ist das schon verrückt”. Tiere, die eigentlich für geräuschlos gehalten werden, werden so plötzlich auch akustisch greifbar.

Maeder arbeitet zwar als Wissenschaftler, betrachtet seine Forschung aber auch immer aus einer künstlerischen Perspektive, was oft zu erstaunlichen Ergebnissen führt. „Als Klangkünstler frage man sich, wenn man mit einem Mikrofon in der Gegend rumsteht und lauscht, automatisch: Was hat das für eine gesellschaftliche Bedeutung? Und was sind die ökologischen Implikationen, die in einer akustischen Umwelt hörbar sind?”, erklärt er die Verbindung von Kunst und Wissenschaft.

Ein akustisches Archiv

Bald werden die Ergebnisse der Recherche in einer bioakustischen Erstaufnahme mit in die weitere Planung des Spreepark Art Space eingehen. Dabei entsteht genau das, was künstlerische Recherche so wichtig macht: Die Überschreitung von disziplinären Grenzen, bei der das eine das andere beeinflusst, den Blickwinkel erweitert und etwas ganz Neues entstehen kann. Doch einige der Aufnahmen sind auch jetzt schon im Spreepark Radio zu hören. Dort kann man die unterschiedlichen Geräusche des Areals zu allen möglichen und unmöglichen Uhrzeiten hören. Und wird von dem ein oder anderen sicherlich überrascht sein.

Das Klangarchiv von Marcus Maeder hat ein Jahr der Transformation des Spreeparks begleitet. So wird man auch kommende Veränderungen nicht nur optisch sehen, sondern gleichfalls akustisch nachvollziehen können.

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Feldbuch Spreepark

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