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Stefan Shankland, Der Spreepark als Material

Über die Kunst, aus nutzlos angesehener Materie, einen Wertstoff zu machen.


Stefan Shankland lässt Steine sprechen

Stefan Shankland wird, neben vier weiteren Künstler*innen, eine permanente mehrteilige Skulptur im Spreepark installieren. Zuvor war er bereits über den Zeitraum von einem Jahr als Forschungsresidenzkünstler im Park unterwegs. Im Spreepark kommt die Kunst nicht erst nachträglich dazu, wenn alle strukturellen Entscheidungen bereits getroffen sind, sondern Kunst ist in jeden Aspekt der Planung fest eingebunden, setzt eigene Impulse und bestimmt die Gestaltung mit.
 

Der blinde Fleck

Die Arbeit und Recherche von Stefan Shankland hat sich dabei einem bisher blinden Fleck in der Vermessung des Geländes gewidmet. Während Flora und Fauna des Spreeparks bestens dokumentiert sind und die angesiedelten Arten erkannt und geschützt werden, wurde ein Punkt bisher übersehen: die mineralischen Akteure. Was erstmal seltsam klingt, ist eigentlich ganz einfach. Es geht dabei um das, was nach der Umgestaltung des Parks mit den nicht mehr benötigten Baumaterialien und Gesteinen passiert. Wie geht man mit dem Erbe dieser Dinge um? Mit den Geschichten, die sie erzählen? Nur, weil man etwas abreisst, verschwindet es ja nicht. Die Materie bleibt vorhanden. Shankland nennt das “negative Masse”. Masse, die man meist loswerden will und am liebsten sofort unsichtbar werden lassen würde. Dabei muss man anerkennen, dass wir nichts ungeschehen machen können. Auch nicht den Bau eines Gebäudes, selbst wenn es wieder abgerissen wird. Stefan Shankland überlegt und untersucht, wie dieser Abfall, diese sonst wertlose Materie, wieder nutzbar gemacht werden kann. Und zwar so, dass auch die Geschichte und das Erbe, die darin wohnen, nicht vergessen werden.
 

"I came to the Spreepark to establish an inventory of demolition material with a view to save some of this waste to be, before it gets taken away by the demolition firms."

Stefan Shankland

Transformationen

Shanklands Arbeit ist immer spezifisch und verbunden mit Situationen der Veränderung und des Übergangs. “Der Spreepark ist ein Ort, der gerade dabei ist, sich zu verändern und das verändert die künstlerische Produktion – weil man als Künstler Teil der Welt ist”, sagt er. Dabei stellt er sich die Frage: Wie nehme ich die Veränderung dieses Ortes wahr? Was sind die Dinge, die ich sehe, die relevant sind? Und wie passt meine künstlerische Praxis zu dem Ort?

Das sind die Ausgangsfragen Shanklands, um ein Gefühl für den Ort und das, was dort möglich ist, zu bekommen. Denn die verschiedenen Schichten, die über die Jahre, Jahrzehnte und Jahrtausende entstehen, erzählen etwas über uns. Als Menschheit, aber auch als Gesellschaft. Wir schaffen immer mehr Müll. Abfall. Negative Materie. Und mehr denn je merken wir, dass dieser Müll nicht verschwindet. Sondern, im extremen Fall von Atommüll, gelagert werden muss und etwas ist, das wir noch etlichen nachfolgenden Generationen hinterlassen werden. Weil wir nicht wissen, wie wir diese Art von Müll nachhaltig und endgültig vernichten oder eben umnutzen können. Bei Bauschutt ist das nicht ganz so dramatisch wie bei Atomenergie, aber immer noch teuer und Co2-intensiv. Normalerweise ist die Entsorgung des Bauschutts das, was den Abriss von Gebäuden so teuer macht.

Shankland behandelt diese sonst als nutzlos angesehene Materie in seiner Arbeit als einen Wertstoff. Einen Wertstoff, aus dem Neues geschaffen wird und der eine Geschichte erzählt. So wie der Park als Ganzes transformiert wird, transformiert er die Materie. Alles bleibt an Ort und Stelle - es nimmt nur eine andere Form an.

Ein strukturierter Prozess

Die Veränderung des Parks folgt einem klar strukturierten Prozess. Zuerst wird das jeweilige Gebäude oder der Bodenbelag abgerissen, der Abfall nicht abtransportiert, sondern vor Ort belassen und dann folgt die Umformung in eine künstlerische Arbeit. Da Shankland von Hause aus Bildhauer ist, liegt es für ihn nahe, aus dem neu geschaffenen Material Skulpturen herzustellen. Wobei er oftmals in vorherigen Projekten und auch in diesem mit Bodenskulpturen arbeitet. Was auch eine Übersetzung von vormals vertikaler Architektur zu horizontaler darstellt.

“Das ist kein Rohmaterial, kein kulturelles Erbe, es ist keine materielle Erinnerung an eine Architektur, die es einmal gab. Es ist nur Materie, die zu entsorgen Geld kostet. Es gibt an der Stelle keinen kulturellen und keinen ästhetischen Wert. Alles an dieser Art von Materie ist erstmal falsch. Das interessiert mich”, erzählt Shankland. Wie wir mit diesem Material umgehen, ist für ihn nicht nur eine technische Frage, sondern auch und vor allem eine kulturelle. Gerade heute, wo die Klimakatastrophe bereits in vollem Gange ist, muss man sich die Frage danach, wie man mit den Abfällen unserer Zivilisation umgeht, stellen.

Shanklands Forschungsresidenz im Spreepark ist als künstlerisches Gutachten zu verstehen, das eine Kartierung der mineralischen Ressourcen als Ergebnis hatte. Auf dieser Grundlage ist auch die Idee für seine mehrteilige skulpturale Bodenarbeit für den Park entstanden, die nun als integraler Bestandteil der Freiraumplanung zur Umsetzung kommt.

100 Tonnen Kunstwerk

Für den Spreepark nutzt Shankland 100 Tonnen mineralisches Abbruchmaterial, das bei der Umgestaltung des Areals entsteht, um es in 100 Tonnen Kunst zu transformieren. Für einige skulpturale Elemente dient ihm die Form des Diamants als Inspiration, der teuerste Stein der Erde. So wird das Material, was man in der Regel loswerden will, in eine wertvolle Sehnsuchtsform gepresst. “Du kannst am Ende darauf gehen, sitzen, es angucken oder ignorieren: Das ist es, was du dann damit machen kannst”, erklärt er sein Kunstwerk. Ein Kunstwerk, das fast Co2 neutral sein wird. Weil das Material keine Wege hinter sich bringen musste, um ans Ziel zu kommen. Und selbst nach der Transformation des Parks, wenn aus den Gebäuden und Wegebelägen und dem, was von den Umgestaltungen und Abrissen übriggeblieben ist, ein Diamant geformt ist, wird das Material noch von dem erzählen, was einmal war. Als Zeuge, als lebendige Geschichte.